Passauer Neue Presse – Tristan und Isolde
Luxuriously cast out of their own ranks are also Melot by Albertus Engelbrecht, Hirte by Christos Kechris and Steuermann by Kyung Chun Kim.
Raimund Meisenberger, Passauer Neue Presse
Des Welt-Atems höchste Lust
Grenzenloser Jubel für Richard Wagners “Tristan und Isolde” am Landestheater Niederbayern — Brillante Sänger und ein unerwarteter Held des Abends
Beginnen wir mit Basil Coleman. Beginnen wir in aller Offenheit, denn es ist nicht despektierlich, sondern Tatsache: Diverse Passauer Opern-Stammgäste, zumal jene, die sich als Wagnerianer betrachten, haben dem Passauer Generalmusikdirektor nicht zugetraut, das D-Orchester der Niederbayerischen Philharmonie akzeptabel durch fünf Stunden „Tristan und Isolde” zu führen. Coleman, der sich selbst gern „Dilettant” nennt, der auch mit Rockband oder mit Rauschebart im Weihnachtsmärchen auftritt, der Generalist, der Mann der sportlichen Tempi. Er hat sie alle überrascht. Und wie.
Mehr noch als Tristan heißt der strahlende Held im Schlussapplaus, oder soll man sagen, bei den endlosen Huldigungen: Basil H. E. Coleman. Unter seiner Leitung wurde der aus Theatersicht historische Tag mit der Erstaufführung in Niederbayern am Freitagabend im Landshuter Theaterzelt zum historischen Erfolg für die von 40 auf 60 Musiker erweiterte Niederbayerische Philharmonie. Und zum persönlichen Triumph für den Dirigenten, vielleicht zum größten in den 15 Jahren seines Wirkens am Haus. Man gönnt es ihm von Herzen. „Tristan und Isolde” dirigieren, das muss man sich vorstellen wie drei Opern hintereinander zu leiten. Coleman macht dies mit tiefer Konzentration, mit größter Ruhe, Übersicht und Klarheit – sowie in bestens gewählten Tempi. Damit korrespondierend präsentiert sich die Niederbayerische Philharmonie in bestechenden Disziplin und Reinheit des Klangs. Musiker und Dirigent wissen um die singuläre Chance, diese Musik aufführen zu dürfen. Sie tun es in Demut, in Lust. Wenn es noch gelänge, in des Welt-Atems höchster Lust im Finale des dritten Akts sich so zu mäßigen, dass Isolde hörbar bliebe, und die Zuspielungen von Herrenchor und Jagdgetön auf brauchbares Klangniveau zu heben, dann erlebt das Publikum den besten Wagner, der m it den Mitteln dieses Theaters denkbar ist.
Zur glücklichen Hand der Musikabteilung gehört die Wahl der Gastsolisten in den vier Hauptrollen Isolde, Tristan, ßrangäne und König Marke. Ausgesprochen hörenswerte Stimmen von bewundernswerter Kondition. Annette Seiltgen singt und spielt die irische Königstochter Isolde als extrem starke und souveräne Frau, die jederzeit über ihr Schicksal selbst bestimmt. Mit fulminanten Höhen, voluminös abgründigen Tiefen und viel lohnender Investition in die Darstellung verschiebt sie die Oper in Richtung „Isolde und Tristan”. Tenor Hans-Georg Wimmer als Tristan ist ihr ebenbürtig in Intonation, Volumen und schwindelfreien Höhen, allerdings weit statischer in Phrasierung und Schauspielerei. Anne-Theresa Möller singt eine stolze Dienerin Brangäne mit machtvollem Sopran und metallischer Schärfe in den Spitzen. Stephan Bootz wird als König Marke mit ehrfurchtgebietend schwarzem Bass zum Liebling des Publikums. Ensemblemitglied Peter Tilch, erfahrener Bayreuth-Chorist, blüht als Kurwenal zu ganz außer ordentlicher sängerischer Form auf. Luxuriös aus den eigenen Reihen besetzt sind zudem auch Seemann und Melot mit Albertus Engelbrecht, der Hirte mit Christos Kechris und der Steuermann mit Kyung Chun Kim.
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Dieses Musikfest verweist die Regie des Intendanten Stefan Tilch auf einen Nebenplatz, Tilch findet Bilder, die ästhetisch starke Wirkung entfalten und intellektuell kitzeln, aber zueinander wenig kohärent sind. Drei Beispiele. Erstens: Die mit intensivem Videoeinsatz (Florian Rödl) dynamisierte Handlung spielt mit abstrahiertheutigen Kostümen (Ursula Beutler) in der Jetztzeit, im Museum des Königs Marke (Bühne: Karlheinz Beer), wir werden Zeuge der Staatsausstellung „Wie Held Tristan Isolde für König Marke gewann”. In den Vitrinen Tristans Schwert, Zaubertränke, als Hauptattraktion Isolde selbst im königlichen Bett. Das holt die Vorgeschichte in den ersten Akt, das kokettiert mit Wagner als musealem Monument, spielt aber für das Stück keine weitere Rolle.
Zweiter Akt: Wie soll man 2016 das Tristan-Konstrukt erklären, Nacht und Tod seien Inbegriff des emphatischen Lebens? Stefan TlIch erklärt es als Ergebnis einer Meditationssitzung. Die Fallhöhe zwischen dem hohen Stil des Textes und der Banalität der Brüderschaft trinkenden Tristan und Isolde in Esoterikklamotten erzeugt komische Distanz — wo es tiefernst um jene einzigartige Liebe geht, die nur im Tod real werden darf. Zumal: Die beiden Hippies da auf der Bühne würden 2016 nicht vom Liebestod faseln, sie würden einen Joint rauchen und sich so schnell wie möglich entblättern. Dritter Akt: Weil Tristans Mutter bei seiner Geburt starb, sucht er in Stefan Tilchs Inszenierung nach einer Mutter, die er nie hatte. Tristan betrachtet als Geistwesen schon seinen eigenen Leichnam und sich als Kind (Luca Tilch), das dank Isolde seine Einsamkeit überwindet. Kann man machen. Einen Mehrwert für die Deutung Wagners bringt es allerdings nicht.
Tot denn alles. Alles tot. Zum Finale lässt Stefan Tilch sämtliche Leichen auferstehen und mit Sekt anstoßen. Schließlich sind wir hier im Museum, es ist Vernissage der Staatsausstellung. Oder Finissage. Egal. Sie haben es sich verdient, allesamt. Zum Wohl!
Raimund Meisenberger
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Source: Passauer Neue Presse
11/04/2016