Straubinger Tagblatt – Die Entführung aus dem Serail
[The singers] transformed their opera characters into living, feeling people through their acting abilities but especially through their exceptional and characterful voices, just like Mozart intended.
Theodor Auer, Straubinger Tagblatt
Hervorragende Leistung
“Die Entführung aus dem Serail” entführte das Publikum im Theater in den Orient
“Ein gewisser Mensch, namens Mozart. in Wien hat sich erdreistet, mein Drama zu einem Operntext zu missbrauchen.” So beschwerte sich der Leipziger Kaufmann Bretzner, dessen Drama „Belmont und Constanze” in stark abgeänderter Form Mozart als Grundlage für seine „Entführung aus dem Serail” benutzte.
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Neugier war angesagt, was Basil H. E. Coleman mit seiner Niederbayerischen Philharmonie und dem Niederbayerischen Landestheater am Dienstagabend im Theater Am Hagen aus dem erfolgreichsten Werk des Menschen in Wien, namens Mozart, machte. Das damals dem Publikum exotisch anmutende, türkische Flair, die Anklänge von Janitscharenmusik, vor allem aber die lebensechte, liebevolle Zeichnung der Charaktere, verbunden mit plausibler Handlung, machten schon vor 200 Jahren das Stück zu einem Erfolg.
Mozarts Musik verleiht dem Stück den Zauber eines Märchens von Liebe, Eifersucht und Glück. Mozarts Genie lässt kein Nebeneinander im Sinne lose zusammengesetzter Szenen entstehen, sondem ein einheitliches Ganzes, gegossen au einem Stück. Ein Grund hierfür ist,s dass Mozart enormen Einfluss auf das Libretto nahm. Mit großer Akribie und noch größerem Einfühlungsvermögen zeichneten Coleman und die Niederbayerische Philharmonie ein liebevolles, fein durchstrukturiertes Gemälde, in dem der Orchesterpart eine mindestens ebenso tragende Rolle spielte wie das Bühnengeschehen. Ein Singspiel in deutscher Sprache zu schreiben, war der Auftrag Kaiser Josephs II., der damit einen Gegenpol zur italienisch beherrschten Hofoper schaffen wollte. Mozart machte weit mehr daraus: Aus typenhaft skizzierten Figuren schuf er aus Constanze und Bahnale empfindsam Liebende. Er beseelte vor allem durch den Orchesterpart auch das Buffo-Paar Blonde und Pedrillo. “Ich bin Engländerin, zur Freiheit geboren”, weist Blonde die wüsten Annäherungsversuche Osmins, der sie von seinem Herrn, dem Bassa Selim geschenkt bekam, zurück. Osmin – ein gewalttätiger, bösartiger Charakter – gibt Mozart eine so-wohl musikalisch als auch dramaturgisch bedeutungsvolle Funktion, welche, nicht nur für die damalige Zeit höchst ungewöhnlich, das ganze Stück beherrscht. In der Verkörperung durch Young Kwon gewinnt Osmin sogar einen durchaus sympathischen Ibuch, sicher genau wie es Mozart wollte: Ein böser Mensch ist niemals durch und durch böse, ein guter nie ausschließlich gut! Einmal zeigt Osmin sogar sehr menschliche Züge, als er von Pedrillo verführt, betrunken ist. Gibt es nicht in unserem Umkreis Menschen, die nur alkoholisiert genießbar sind?
Osmin, Constanze, Belmonte, Blonde, Pedrillo, Bassa Selim als junger Mann und Bassa Selim als alter Mann sowie eine, im Original-Libretto nicht vorgesehene Haremsdame, wurden schauspielerisch auf hohes Niveau gehoben. Young Kwon, Martha O’Hara, Albertus Engelbrecht, Emily Fultz, Christos Kechris und in den Sprechrollen Maximilian Widmann, Oscar Imhoff und als schweigende Haremsdame Bernadette Leitner verwandelten durch ihre Schauspielkunst, vor allem aber durch ihre hervorragenden, charaktervollen Stimmen Opernfiguren zu lebendigen, fühlenden Menschen, wie von Mozart konzipiert.
Der damaligen Aufführungspraxis folgend musste Mozart dem Star der Wiener Opernwelt Gelegenheit geben, ihre Gesangskunst in Koloraturen, die in der „Entführung aus dem Serail” eigentlich nichts zu suchen hätten, Raum zu geben. Mozart machte aus der Not eine Tugend und stellte der Koloratur-Arie eine äußerst gefühlvolle Arie „Traurigkeit ward mir zum Lose” gegenüber. So wahrte er auch hier die aus Kontrasten lebende Energie des Stückes und damit seine Einheit. Die Gegensätzlichkeit dieser beiden Arien schälte Martha O’Hara mit großartiger Stimmgebung, größtem Einfühlungsvermögen gepaart mit gewisser aristokratischer Distanz heraus. Das Singspiel des Gesangsquartetts – Martha O’Hara, Albertus Engelbrecht, Emily Fultz, Christos Kechris – am Ende des zweiten Aktes war interpretatorisch und stimmlich zweifellos ein Höhepunkt in den Opernaufführungen der Niederbayerischen Philharmonie und des Niederbayerischen Landestheaters.
Wieso muss „Entführung aus dem Serail”, wie seit 200 Jahren, stets auf einem Landsitz mit Blick aufs Meer und Palmen spielen? Dies dachten sicher auch Margit Gilch, die die Inszenierung, und Coleman, der das Regiekonzept erarbeitete. So wurden aus dem Orient des 16. Jahrhunderts die 1960er-Jahre und aus Bassa Selim ein englischer Kolonialbeamter in Aden im Jemen. Schön war die Idee, Bassa Selim doppelt zu besetzen – zum einen als alter Mann, der in Retrospektive die Zeit seiner großen, unerfüllten Liebe zu Constanze Revue passieren lässt. Das Bühnenbild – Bassa Selims in orientalischem Stil gehaltene Villa mal in Außenansicht, mal von innen – war flexibel genug, den Handlungsorten der drei Akte unterschiedliche Perspektiven zu geben.
Schön und geschmackvoll waren die Kostüme von Constanze, Blonde und der Haremsdame, entworfen von Iris Jedamski. „All unser Bemühen, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat. Die Entführung aus dem Serail schlug alles nieder”, so schrieb Johann Wolfgang von Goethe. Getreu dieser Vorgabe inszenierte und spielte das Niederbayerische Landestheater das Singspiel mit Liebe zum Detail und hervorragender sängerischer und schauspielerischer Leistung.
Theodor Auer
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Source: Straubinger Tagblatt
03/03/2016